Die Relationen sind relativ

 

Wir nehmen die Welt immer in Relation zu uns selbst wahr. Wenn sich etwas an uns verändert, dann denken wir nicht, dass es an uns liegt, sondern glauben, dass sich etwas an unserer Umgebung geändert hat.

Ein Beispiel: Wenn wir per Computersimulation (und dergleichen ist heutzutage möglich) einen Avatar von uns sehen, der größere Hände hat als wir und dann einen Gegenstand in die Hand nehmen, dann glauben wir, der Gegenstand sei kleiner geworden und nicht, dass unsere Hände einfach größer sind als vorher. Das ist extrem egozentrisch, aber so funktionieren wir nun mal.

Zunächst einmal ist das ja gar nicht verkehrt. Da wir über uns selbst nun mal die meisten Informationen besitzen, ist es durchaus sinnvoll auch von uns selbst auszugehen. Wenn wir zum Beispiel sehr zierlich und recht kraftlos sind, dann erscheint uns ein steiler Berg steiler als er in Wirklichkeit ist. (Ähnlich ist das, wenn wir uns niedergeschlagen fühlen.) Unsere absolut subjektive Wahrnehmung schützt uns davor, uns zu übernehmen. Und das ist gut.

Schwierig wird das Ganze dann, wenn der nächste Schritt erfolgen muss (und oft muss er das) und wir uns nicht von dem Bild lösen können, das wir ursprünglich hatten und das auf unseren sehr subjektiven Einschätzungen beruht. Es ist nämlich auch so, dass wir Annahmen über unsere Mitmenschen treffen, die in erster Linie etwas mit uns selbst zu tun haben und manchmal rein gar nichts mit dem Mitmensch, der uns gegenüber steht. Sind wir etwa extrem misstrauisch und lügen oft, gehen wir automatisch davon aus, dass die meisten Menschen auch so sind. Das gilt natürlich auch für positive Eigenschaften.

Noch schneller scheren wir andere über unseren Kamm, wenn sie eine Sache mit uns gemeinsam haben. Wenn wir etwa gerne ins Kino gehen und jemand anderer diese Leidenschaft teilt, dann glauben wir automatisch, dass derjenige auch gerne Bücher liest, weil wir das nämlich tun. Das gilt insbesondere für flüchtigere Bekanntschaften, bei den eigenen Freunden findet man auf kurz oder lang schon heraus, wer was mag oder nicht.

Schwieriger ist das natürlich schon bei der Wahrnehmung einer Situation. Wir amüsieren uns prächtig, finden die Leute amüsant und nett, die Zeit verfliegt und dann kommt meinetwegen der Partner und fragt, wann wir endlich diese saublöde, unendlich langweilige Party verlassen können. Im schlimmsten Fall unterstellen wir ihm, dass er uns einfach die Laune verderben will, denn wir können uns gar nicht vorstellen, dass er diese super Party wirklich blöd findet…

Es ist uns einfach nicht möglich, zu erahnen, wie ein anderer Mensch Situationen empfindet. Dafür sind wir zu sehr in unseren Wahrnehmungen gefangen. Es ist uns aber sehr wohl möglich, unsere Annahmen über Andere grundsätzlich mit Zweifeln zu betrachten und genau hinzuhören, wenn ein Anderer eine Sache so ganz anders beschreibt als wir. Denn eines ist sicher: Wir wissen so gut wie gar nichts.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: In der Kunst ist das alles vollkommen egal. Oder anders: In der Kunst ist das höchst willkommen. Was sehen wir? Was sehe ich? Und genau das gebe ich dann wider. So gut ich es eben kann. Ich kehre meine Sichtweise nach außen, versuche sie zu bannen und für andere zugänglich zu machen. Ein irgendwie intimer Vorgang. Eine Seelenausstülpung, die durchaus Mut erfordert. Und dann kommt der nächste Schritt. Der Betrachter mischt seine Empfindungen dazu. Jeder sieht etwas anderes in meinem Bild. Es ist immer eine Beziehung, niemals ist es singulär. Es ist ein Vorgang, ein Prozess. Die Intimität wird erwidert, indem der Betrachter über seine Empfindungen spricht. Das ist ihm oft nicht mal bewusst, aber genau so ist es. So spannend ist es.

Deswegen braucht man auch nicht traurig zu sein, wenn man negative Kritik hört. Das heißt vielleicht nur, dass derjenige sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht auf das Bild einlassen mag. Nicht auf diese spezielle Sichtweise einlassen mag. Das ist ok. Ich will mich auch nicht auf alle Menschen einlassen, die mir begegnen und nicht mit allen etwas teilen.

Bleiben wir also aufmerksam, bleiben wir relativ und flexibel. Denn Starrheit bringt uns nicht weiter.

 

Bis bald — Ivan.

 


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